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  • AutorenbildNicole Hoenig

Nicht jedes Symptom muss therapiert werden - therapeutischer Umgang mit dem Reizdarm

Aktualisiert: 17. Okt. 2022

In meiner Praxis begegnen mir viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Anliegen. Der eine wünscht sich, schnell ein paar Kilos abzunehmen. Der andere möchte langfristig seine Ernährung umstellen und möchte eine professionelle Begleitung. Einige haben eine Zuweisung vom Arzt bekommen, weil die Blutwerte nicht so sind, wie sie sein sollten. Ein anderer möchte wissen, ob nicht statt der empfohlenen Medikamente eine Lebensstiländerung dazu beitragen kann, Beschwerden zu lindern. Und wieder andere kommen zu mir, nachdem sie schon ganz viele Stationen hinter sich gebracht haben: Hausarzt, Facharzt, Apotheke, Heilpraktiker...


Zunehmend kommen Menschen mit verschiedenen Lebensmittel-Unverträglichkeiten in meine Praxis. Teilweise sind diese vom Arzt per Untersuchung bestätigt worden, und wir können ganz gezielt darauf eingehen. Wir gehen dann so vor, dass z.B. Fruchtzucker oder Milchzucker für eine Weile ganz weggelassen werden. Danach beginnen wir langsam mit der Einführung kleiner Mengen, und testen mit Hilfe eines Ernährungsprotokolls aus, wie viel individuell vertragen wird. Das ist eine klare Diagnose und kann mit einer gezielten Therapie behandelt werden.


Schwieriger wird es, wenn entweder von ärztlicher Seite noch keine Diagnostik durchgeführt wurde, oder diese kein eindeutiges Ergebnis gebracht hat. Meine Patienten kommen dann mit einem "Reizdarm" zu mir, und wir müssen in kleinster Detektivarbeit herausfinden, welche Strategie dem geplagten Darm nun helfen könnte.


Manchmal ist es schon mit dem Weglassen von blähenden Lebensmitteln getan oder mit einer Veränderung der Zubereitungsarten (z.B. gekocht statt roh). Manchmal hilft eine Darmsanierung, weil jahrelang die Ernährungsgewohnheiten die Darmflora aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Bewegung ist ebenfalls hilfreich, wenn es um eine träge gewordene Verdauung geht. Und ganz häufig sind die Symptome eindeutig auf Stress zurückzuführen. So ist es bei mir zum Standard geworden, gerade bei Darmbeschwerden immer auch Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen in die Therapie mit einzubauen.


Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit einem Internisten über das Thema Reizdarm. Er behandelt viele Patientinnen mit dieser Diagnose in seiner Praxis und sagte etwas, das mir in meiner Beratung seitdem schon oft weitergeholfen hat.


"Wir sollten endlich anerkennen, dass jeder von uns unterschiedliche Schwachpunkte hat. Bei dem einen sind es die Bronchien, beim anderen die Nasennebenhöhlen und bei anderen eben der Darm. Wenn wir akzeptieren können, dass wir dort einen Schwachpunkt haben, fällt es uns leichter, diesen liebevoll anzunehmen."


Mit meiner nächsten Reizdarm-Patientin habe ich versucht, das Ganz mal von diesem Standpunkt aus zu betrachten. Und wir sind zu ganz erstaunlichen Ergebnissen gekommen. Ihr Ernährungsprotokoll war ganz präzise geführt, und sie hatte wirklich jede Kleinigkeit, die sie in Ihrem Verdauungstrakt beobachten konnte, darin aufgeführt. Als "Hausaufgabe" gab ich ihr auf - ganz im Sinne des Achtsamkeitstrainings - diese Symptome ganz wertfrei zu beobachten. Und wir kamen in der gemeinsamen Arbeit zu dem Schluss, dass sie - geprägt durch einen langen Leidensweg und verschiedene Umstände - jede kleinste Regung des Verdauungstraktes gleich als Symptom irgendeiner noch unbekannten Unverträglichkeit einstufte. Und sie musste feststellen, dass es teilweise ganz normale körperliche Reaktionen waren, die bei ihr gleich Panik auslösen: das leicht saure Gefühl im Magen nach dem Genuss von Obst und Fruchtsaft, ein Zwicken im Darm nach dem Verzehr von rohem Salat, ein Gurgeln im Darm als Zeichen einer ganz normalen, physiologischen Darmbewegung.


Nachdem meine Patientin ihren "empfindlichen Darm" nun endlich als das annehmen konnte, was er ist, hatte sie die Freude am Essen und Genießen wieder zurückgewinnen können, und es stellte sich bei ihr eine große Erleichterung ein.


Ich möchte mit dieser kleinen Geschichte aus meiner Praxis nicht aussagen, dass sämtliche Symptome - vor allem bei Darmpatienten - nur reine Einbildung sind! Ganz im Gegenteil! Aber manchmal sehen wir in unserer medizinisch hochtechnisierten und durchdiagnostizierten Welt den Wald vor lauter Bäumen nicht. Es lohnt sich in jedem Fall immer, etwas genauer hinzuschauen!


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