Nachdem wir Ernährungswissenschaftler jahrzehntelang die Fette verteufelt haben, und die Industrie ein um die andere Low-Fat-Variante hervorgebracht hat, geraten endlich die Kohlenhydrate mehr in den Fokus der Ernährungsempfehlungen. Auch wenn die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) nach wie vor an ihren Empfehlungen für eine kohlenhdratreiche Ernährung festhält, so wird in der Praxis ganz häufig bereits nach dem Low-Carb-Prinzip beraten.
Was bedeutet Low-Carb?
Low (= niedrig) Carb (=Kohlenhydrate) bedeutet nichts anderes, als dass der Anteil der Kohlenhydrate in der Ernährung stark reduziert wird - zugunsten von Fett und Eiweiß. Denn viele Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass ein Übermaß an Kohlenhydraten offenbar für zahlreiche Entzündungsprozesse verantwortlich sind und somit die Entstehung so genannter Zivilisationskrankheiten begünstigt wie Koronare Herzkrankheit, Diabetes, Metabolisches Syndrom und andere. Ein Übermaß an Fruchtzucker (z.B. aus süßen Getränken, Fruchtsaft, Süßwaren, viel süßes Obst) begünstigt die Entstehung einer nichtalkoholischen Fettleber. Wer ständig Kohlenhydrate, z.B. in Form kleiner Snacks zu sich nimmt, der hat einen ständig hohen Insulinspiegel und blockiert damit die körpereigene Fettverbrennung.
Beim Low Carb-Prinzip reduziert man den Anteil an Kohlenhydraten auf eine Menge von etwa 80 - 120 Gramm pro Tag (je nach Ausgangsgewicht und Ziel).
Etwa 100 Gramm Kohlenhydrate stecken z.B. jeweils in 4 hellen Brötchen, 2 Stück Streuselkuchen, 300 Gramm gekochten Nudeln, 1,5 Portionen Pommes, 1 Pizza Margherita, 1 Liter Apfelsaft, 4 kleinen Fruchtjoghurts, 2 Flaschen Malzbier, 1/2 Tüte Gummibärchen oder 2 Tafeln Schokolade.
Das hört sich jetzt für sich genommen ganz schön viel an, oder? Wer isst schon 2 Tafeln Schokolade pro Tag?

Doch über den Tag verteilt essen wir durchschnittlich mindestens das Doppelte an Kohlenhdyraten, die meisten von uns noch mehr.
Brötchen mit Marmelade oder Honig zum Frühstück, dazu ein Glas Orangensaft, mittags gibt es ein paniertes Schnitzel mit einer großen Portion Nudeln und ein bisschen Salat, zum Nachmittag ein Stück Kuchen oder auch zwei.
Dazwischen mal eben eine Handvoll Gummibärchen, eine Apfelsaftschorle oder eine Cola zum Wachwerden. Abends muss es schnell gehen und wir gehen Pizza essen zum Italiener, wo es als Vorspeise auch noch gratis diese kleinen leckeren Pizzabrötchen gibt, bei denen man gar nicht aufhören kann, zu essen.
Locker kommen an einem solchen Tag rund 250 Gramm Kohlenhydrate zusammen, das sind immerhin schon 1000 kcal.
Mit dem Low Carb-Prinzip muss man keineswegs auf die geliebte Pasta oder die Pizza verzichten. Lediglich die Mengenverhältnisse verschieben sich. Der Hauptanteil auf dem Teller besteht aus Gemüse, Salat und/oder Pilzen. Daran kannst du dich satt essen, denn Gemüse liefert wenig Kalorien, hat aber gleichzeitig viele Ballaststoffe und viel Volumen, das den Magen füllt und gut sättigt.
Dazu kommt eine große Portion eiweißreiche Lebensmittel, wie Milchprodukte, mageres Fleisch, Fisch, Eier oder Hülsenfrüchte und eine Portion Fett. Dabei ist im Gegensatz zu herkömmlichen Empfehlungen auch Butter vorgesehen sowie natürlich die ganze Palette an pflanzlichen Ölen, einschließlich Nüssen und Avocado. Ein kleiner Teil auf dem Teller liefert uns dann Kohlenhydrate. Statt wie früher 5 Kartoffeln als Beilage zu essen, gibt es jetzt eine oder zwei.
Dieses Prinzip macht Low Carb familien- und alltagstauglich. Im Grunde muss man aufs Nichts verzichten, sondern darf alles in kleineren (oder größeren) Mengen genießen.
Für wen ist Low Carb geeignet?
Low Carb ist im Grunde als neuer Abnehmtrend erst richtig bekannt geworden. Durch den hohen Eiweißanteil erreicht man eine gute Sättigung. Und der geringe Kohlenhydratanteil bewirkt, dass der Insulinspiegel im Blut sinkt und damit die gefürchteten Heißhungerattacken ausbleiben. In Kombination mit Sport kann hervorragend Fett verbrannt werden.
Ganz besonders geeignet ist Low Carb für Menschen mit Diabetes Typ 2 oder mit einer Insulinresistenz (Prä-Diabetes). Die richtige, konsequente Ernährung kann hier sogar dazu führen, dass keine Medikamente benötigt werden. Und auch bei einer nichtalkoholischen Fettleber setzen Ernährungstherapeuten auf Low Carb.
Ein großartiges Low Carb-Konzept mit vielen Plänen, Rezepten und Ernährungstipps ist das mylowcarb-Programm. Damit kommst du prima durch alle Anfangsschwierigkeiten und erhälst professionelle Unterstützung.
Die Weiterentwickung von Low Carb: Flexi Carb
Nachdem Dr. Nicolai Worm vor über 10 Jahren mit dem LOGI-Prinzip als erster eine Low Carb-Diät zu therapeutischen Zwecken etabliert hatte, hat er diese nun für jedermann weiterentwickelt. Sein Prinzip „Flexi-Carb“ berücksichtigt vor allem die körperliche Aktivität. Wer sich viel bewegt und Sport macht, darf mehr Kohlenhydrate essen als derjenige, der den ganzen am Schreibtisch oder auf der Couch sitzt. Denn Kohlenhydrate - so die Prämisse - dienen dem Organismus einzig allein zur Energiegewinnung. Wer nicht viel Energie verbraucht, muss auch nicht viel „Brennstoff“ zuführen. Logisch, oder?
(Mehr Infos zu Flexi Carb gibt es hier.)
Noch weniger Kohlenhydrate - Die Very Low Carb Diät
Als „Very low Carb Diät“ bezeichnet man Ernährungsformen, die weniger als 50 Gramm Kohlenhydrate enthalten. Ganz ohne Kohlenhydrate kommt man nicht aus, wenn man sich dazu noch gesund ernähren und nicht allein von Fleisch und Fett leben will. Denn auch Milch und Gemüse enthalten Kohlenhydrate, allerdings in wesentlich geringeren Mengen als Obst und Getreide. So müsste man 1 Kilogramm Brokkoli essen, um gerade mal auf 30 Gramm Kohlenhydrate zu kommen. Beim Feldsalat kommen auf 1 Kilogramm gerade einmal 10 Gramm Kohlenhydrate, bei der Karotte sind es immerhin 50 Gramm. Auch in 1 Liter Milch stecken 50 Gramm Kohlenhydrate aus natürlichem Milchzucker (Laktose).
Die bekannteste Diät aus dieser Kategorie hat der Amerikaner Robert C. Atkins bereits in den 70er Jahren „erfunden“. Die Atkins-Diät sieht eine extrem kohlenhydratarme Einstiegsphase mit nur maximal 20 Gramm Kohlenhydraten pro Tag vor. Nach 2 Wochen darf der Anteil an Kohlenhydraten dann pro Woche um 5 Gramm gesteigert werden, bis man auf dem Niveau einer Low Carb-Ernährung zum Zwecke der Gewichtsstabilisierung angekommen ist.
Atkins wurde für seine Diät heftig kritisiert, da diese überwiegend aus tierischen Produkten bestand. Heute ist diese Diät durch ihre Extremform und diverser Nährstoffdefizite etwas aus der Mode gekommen.
Und was ist dann bitte schön No Carb?
Wenn wirklich so gut wie keine Kohlenhydrate mehr vorgesehen sind (max. 5% der Energiezufuhr), spricht auch auch von einer „Ketogenen Diät“. In dieser Ernährungsform bezieht der Körper seinen Energiebedarf nicht mehr aus Fett und Glukose, sondern nur noch aus Fett und daraus im Körper aufgebautem Glukoseersatz, den namensgebenden „Ketonkörpern“. Im Grunde wird hier ein Hungerstoffwechsel simuliert, in dem der Körper nicht mehr auf Gucose-Reserven in Leber oder Muskeln zurückgreifen kann, sondern Fett abbaut. Die Diät ist sehr fett- und eiweißreich.
Eine ketogene Diät wird bereits therapeutisch bei einigen Erkrankungen wie Epilepsie eingesetzt und auch als Therapie bei Alzheimer-Erkrankungen diskutiert. Teilweise wird sie aber auch lediglich zum schnellen Abnehmen benutzt. Die Ernährungsform muss ärztlich überwacht werden, da es durch den hohen Fettanteil zu vermehrten Gefäß-Ablagerungen kommen kann. Der hohe Anteil an tierischen Produkten erhöht den Harnsäurespiegel und kann zu Gichtanfällen führen. Weitere Langzeit-Nebenwirkungen sind bisher nicht bekannt.
Diese Ernährungsform ist allerdings sehr schwierig einzuhalten, da bereits wenige Gramm Kohlenhydrate den Ketonkörperstoffwechsel wieder unterbrechen. Sie ist weder alltags- noch familientauglich und sollte wirklich nur zu therapeutischen Zwecken durchgeführt werden.
Jetzt mal ins Gegenteil - High Carb und Very High Carb
Oh ja, es gibt sie, die Diäten, die besonders viele Kohlenhydrate enthalten und trotzdem schlank machen sollen.
Ein Beispiel dafür ist die Insulin-Trennkost „Schlank im Schlaf“ von Dr. Pape. Obwohl man den Eindruck gewinnen kann, es handele sich hierbei ebenfalls um eine Low Carb Diät (abends gibt es ein kohlenhydratarmes Essen), so kommt man in der Nährwertanalyse doch auf erstaunliche 50 - 55 % Kohlenhydratanteil. Allein zum Frühstück empfiehlt Dr. Pape z.B. 4 Scheiben Brot mit Marmelade oder Honig (=145 g Kohlenhydrate) oder 4 Brötchen mit je 1 EL Nuss-Nougat-Creme (=133 g Kohlenhydrate). Dazu kommt zum Mittagessen eine Portion Nudeln mit Gemüse (=70 - 100 g Kohlenhydrate).
Damit liegt die angebliche Low Carb Diät schon bei einer Tagesbilanz von über 200 g Kohlenhydraten und zählt damit zu den High Carb Diäten.
Einen Gegentrend zum momentanen Low Carb Hype stellt die vegane „High-Carb-Diät da, die von dem amerikanischen Wissenschaftler Dr. John A. McDougall vor allem zum Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickelt wurde. Sie verzichtet komplett auf tierische Produkte und erlaubt nur wenig Fett, natürlich rein pflanzlich.
Leider fehlen konkrete Angaben für den Fett- und Eiweißanteil dieser Ernährungsform. Wichtig ist nur - wie bei jeder veganen Ernährung - dass auf eine ausreichende Zufuhr von Vitamin B12, Zink und Eisen geachtet wird, notwendigerweise über Nahrungsergänzungsmittel.
Und was ist jetzt richtig?
Tja, darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Ich bin ganz ehrlich - auch mir raucht nach so vielen CARBS der Kopf. Selbst wir Ernährungsexperten sind manchmal ratlos, wenn heute eine Studie für Low Carb veröffentlich wird, die morgen durch eine andere Studie widerlegt wird und das Gegenteil behauptet.
Die Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass viele meiner Klienten mit einer kohlenhydratreduzierten Ernährung besser zurecht kommen. Sie nehmen leichter ab, weil weniger Hungergefühl entsteht. Und für Diabetiker und insulinresistente Klienten machen weniger Kohlenhydrate Sinn, weil dadurch auch weniger Insulin benötigt wird und sich gegebenenfalls die Bauchspeicheldrüse wieder völlig erholen kann.
Alle anderen können ja einmal ausprobieren, wie es ihnen geht. Nach einer Portion Nudeln mit Pesto und nach einem Stück Fisch mit Gemüse. Oder nach einem Müsli am Morgen oder einem Rührei mit Tomaten und Pilzen. Oder nach einem Snack aus Rohkost und Kräuterquark oder dem klassischen süßen Teilchen vom Bäcker.
Denn neben der Ernährungswissenschaft sollte das eigene Körpergefühl Beachtung finden. Jeder Mensch ist individuell verschieden und ebenso seine optimale Ernährungsform. Diese herauszufinden ist die größte (und spannendste) Herausforderung einer persönlichen Ernährungsberatung.
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