Immer wieder kommen Klienten in meine Praxis, die eine lange und abwechslungsreiche Diät-Karriere hinter sich haben. Verschiedene Programme, Stoffwechseltests, Blutanalyse, Heilpraktiker, Fasten, Nahrungsergänzungen, FdH, Nahrungsersatz - die Liste an möglichen Diätformen ist endlos lang. Meistens waren die so glücklich abgenommenen Kilos nach Ende des Programms schnell wieder drauf, manchmal noch mehr als vorher. Wissenschaftliche Studien zu verschiedenen Diätkonzepten zeigen, dass die Wirkung solcher Ernährungsformen nach spätestens 6 Monaten nachlässt und die Klienten wieder zunehmen. Auch für uns Ernährungsberater ist dies eine manchmal ganz schön frustrierende Erkenntnis.
Was tun?
Der einzige Weg zu einem Gewicht, mit dem sich die meisten wohlfühlen, ist eine langfristige Änderung der Gewohnheiten. Unsere Gewohnheiten haben wir jedoch so lieb, dass wir sie nur ungern ziehen lassen. Einige von ihnen begleiten uns schließlich schon seit unserer Kindheit. Meine Erfahrung aus mehr als 10 Jahren Selbstständigkeit zeigt, dass es nichts bringt, immer wieder eine neue Diät auszuprobieren. In dem medialen Dschungel aus Diät-Empfehlungen und zahlreichen Listen mit erlaubten und verbotenen Lebensmitteln haben wir im Laufe der Jahre den Blick und das Gefühl dafür verloren, was unser Körper und unsere Seele wirklich an Nahrung brauchen. Ja, nicht nur die physische Seite unserer Existenz möchte ernährt werden. Essen liefert uns mehr als einzelne Nährstoffe, Vitamine und Spurenelemente. Essen sollte auch auch unsere Gefühle, unsere körperlichen Empfindungen und unsere Sinne befriedigen.
Achtsames Essen
Durch meine Ausbildung als Yogalehrerin und eigenes Ausprobieren verfolge ich schon seit vielen Jahren den Weg des achtsamen Essens. "Achtsamkeit" ist mittlerweile ja schon fast ein Schlagwort für Manager und Alltags-Gestresste geworden. Achtsamkeit ist schick und hipp. Doch oft wird Achtsamkeitstraining dafür verwendet, im täglichen Stress möglichst leistungsfähig zu bleiben. Mit Entschleunigen und bewusstem Wahrnehmen hat das dann oft nur noch wenig zu tun.
Die Art des Achtsamkeitstrainings stammt ursprünglich aus einer buddhistischen Tradition, der Vipassana-Meditation.
Vipassana bedeutet, „die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind“. Ziel von Vipassana ist es, eine Veränderung des Verhaltens durch Selbstbeobachtung zu erreichen.
Bekannt geworden ist diese Tradition hier im Westen vor allem durch den buddhistischen Mönch Thich Nath Hanh und den amerikanischen Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn. Letzterer ist der Begründer des MBSR-Trainings (Mindfulness based Stress Reduction), ein Programm, mit dem Schmerzpatienten lernen, besser mit ihrer Erkrankung leben zu können.
Achtsamkeit bedeutet nichts anderes, als „aufmerksam“ zu sein.
Achtsamkeit bedeutet, das, was in uns selbst geschieht, und das, was in unserer Umgebung geschieht, bewusst wahrzunehmen.
Achtsamkeit bedeutet auch, etwas ohne Wertung wahrzunehmen.
Achtsamkeit bedeutet, wirklich gegenwärtig zu sein im jetzigen Moment.
Was bedeutet Achtsamkeit in Bezug aufs Essen?
In unserem Ess-Alltag werden wir allzu häufig von unserem inneren Auto-Piloten gesteuert. Der leckere Duft aus der Bäckerei, die verführerische Sahnetorte beim Konditor, die Gummibärchen, die die Kollegin immer so nett auf den Schreibtisch stellt oder die Chips-Werbung im abendlichen Blockbuster lenken uns immer wieder von den wahren Bedürfnissen unseres Körpers ab.
Wahrscheinlich kennst du auch Situationen, in denen du aus Frust, Traurigkeit, Einsamkeit oder Langeweile gegessen hast? Nase, Augen und unsere Gefühle lassen uns mehr bzw. anders essen, als unser Körper dies braucht und verlangt.
Wann hast du das letzte Mal tatsächlich Hunger verspürt? Weißt du überhaupt noch, wie sich echter Hunger anfühlt?
Im Achtsamkeits-Training geht es nun also darum , diesen Autopiloten auszuschalten - zumindest für einen kleinen Moment. Achtsam zu essen bedeutet, die Bedürfnisse des Körpers und die Beweggründe für den Wunsch, etwas zu essen, wieder bewusst wahrzunehmen. Es geht hier nicht um eine neue Diät mit Verboten oder Empfehlungen. Es geht viel eher darum, trotz aller äusserer und innerer Umstände endlich einmal wieder eine bewusste Entscheidung zu treffen.
Will ich jetzt etwas essen?
Was will ich essen?
Wie will ich essen?
Eine bewusste Entscheidung zu treffen heißt auch, zu dieser Entscheidung zu stehen. Das schlechte Gewissen, das uns so häufig überfällt, wenn wir unachtsam gegessen haben, wird uns immer seltener quälen. Letztlich kann achtsames Essen dazu führen, dass sich das Körpergewicht von ganz alleine reguliert und wir wieder entspannter mit dem Thema Essen umgehen können.
Ist achtsames Essen also der ersehnte Weg zu einem schlanken Körper, zu einem "Ich kann essen, was ich will, und nehme nicht zu"?
Ich sage mal so, Achtsamkeit ist kein Weg, der sich von alleine geht. Er erfordert immer wieder Übung und fortlaufendes Training. Ähnlich wie unsere Muskeln nach ein paar Tagen ohne Training gleich wieder abbauen, so lässt auch unsere Achtsamkeit nach, wenn wir uns nicht täglich daran erinnern und uns darin üben, bewusster zu sein.
Achtsames Essen ist allerdings ein Weg, mit dem du dauerhaft auf Diäten verzichten kannst, wenn du bereit bist, den Weg tatsächlich zu gehen. Die Begegnung mit dem achtsamen Essen kann dann nicht nur unser Essverhalten, sondern unser ganzes Alltags-Verhalten verändern.
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