In meiner Apotheke um die Ecke bin ich letztens auf ein neues Regal aufmerksam geworden. "Testen Sie sich selbst" stand darüber. Und im Regal gab es viele kleine Packungen mit ganz unterschiedlichen Themen, aber dem einen gleichen Ziel: Anhand eines kleinen Pieks in den Finger konnte man selbst testen, was einem fehlt - oder auch nicht fehlt.
Denn da ging es um Tests auf Laktoseintoleranz, Fruktoseintoleranz, Histaminintoleranz, Glutenunverträglichkeit, Zeugungsfähigkeit, Eisenmangel, das Magenbakterium Helicobacter pylori, den Beginn der Menopause, Alkohol im Blut, Darmkrebs und sogar auf Brustkrebs.
Es entsteht glatt der Eindruck, als könne man sich die Früherkennungsuntersuchungen beim Hausarzt zukünftig sparen und alles mal eben zu Hause selbst austesten. Doch weit gefehlt! In der ERNÄHRUNGS-UMSCHAU vom Mai 2016 klärt Frau Dr. Sabine Schmidt über Selbsttests zur Erkennung von Allergien und Unverträglichkeiten auf.
Selbsttests zum Thema Nahrungsmittelallergien und - Unverträglichkeiten basieren auf der Analyse von IgG bzw. IgG4-Antikörpern. Bisher fehlt völlig der wissenschaftliche Nachweis für die Wirksamkeit solcher IgG-Tests.
Mehrere allergologische Fachgesellschaften nehmen folgendermaßen dazu Stellung: „IgG4-Antikörper gegen Nahrungsmittel sind nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht als Indikator für krank machende Vorgänge misszuverstehen, sondern Ausdruck der natürlichen (physiologischen) Immunantwort des Menschen nach wiederholtem Kontakt mit Nahrungsmittelbestandteilen.
"Daher ist der allergenspezifische Nachweis von IgG- oder IgG4-Antikörpern gegen Nahrungsmittel zur Abklärung und Diagnostik von Nahrungsmittelunverträglichkeiten ungeeignet und strikt abzulehnen. […] "
"Für keine der genannten Erkrankungen oder Gesundheitsstörungen liegen gesicherte Hinweise in Form kontrollierter, aussagekräftiger Studien vor, dass ein Nachweis von Serum-IgG- oder -IgG4-Antikörpern gegen Nahrungsmittel einen diagnostischen oder pathologischen Wert besitzt. Die IgG-Antikörpertests sind demzufolge weniger aufgrund potenzieller technischer Mängel, sondern wegen der irreführenden Interpretation von Testergebnissen abzulehnen [..].“
Im Klartext bedeutet dies, dass die Tests keine echte Unverträglichkeit nachweisen, sondern nur aufzeigen, mit welchen Lebensmitteln der Patient in einem gewissen Zeitraum in Berührung gekommen ist. Mich wundert es dann auch nicht, wenn Patienten völlig verzweifelt mit einer Liste von 60 oder mehr angeblich "unverträglichen" Lebensmitteln vom Heilpraktiker kommen und nun gar nicht mehr wissen, was sie essen sollen. Schwierig ist es dann zu vermitteln, dass sie viel Geld bezahlt haben und nicht schlauer sind als vorher, sondern im Gegenteil eher noch verwirrter. Der Ursache ihrer Beschwerden sind sie meistens keinen Schritt näher gekommen.
Bei allem Respekt und Anerkennung für die alternative Medizin, die Diagnostik von echten Allergien und von Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten gehört in die Hände eines erfahrenen Allergologen. In den Fällen, wo keine echte Allergie nachgewiesen werden kann (per IgE-Bluttest), kann im Rahmen einer Ernährungstherapie der Verdacht auf eine Nahrungsmittel-Unverträglichkeit bestätigt und gleichzeitig entsprechend therapiert werden.